Mit Fotografien von Leonhard Pill
Ausgezeichnet mit der Buchprämie des Österreichischen Bundesministeriums für Kunst und Kultur 2020
Robert Prosser reist mit dem Fotografen Leonhard Pill im Sommer 2019 in den Libanon. Die Recherche hat das Ziel, mehr vom Syrienkrieg und von der Situation der Vertriebenen zu verstehen. Die zwischen Beirut und Balbeek zurückgelegten Wege rufen vergangene Reisen auf, nach Bosnien und Lesbos vor allem, nach Srebrenica und zu den Flüchtlingslagern der griechischen Insel.
Auf der Suche nach verborgenen Geschichten und vergessenen Schicksalen zieht das Journal Verbindungen zwischen Orten und Menschen, Gedanken und Notizen. Es erzählt vom Recherchieren und Schreiben, vom Reisen und der Zäsur des Syrienkrieges, und zeigt, wie sich das Politische unvermutet im Persönlichen spiegeln kann.
... In Bosnien, auf Lesbos und im Libanon hörte ich von traumatischen Ereignissen, von Gewalt, Vertreibung und Tod, und wurde davon in einer unerklärlichen Weise eingesponnen. Es gab nur noch ein Gegenüber, das von Leid und Überleben berichtete, es gab nur die Geschichte, die mir den Boden unter den Füßen wegriss.
Als ich gewissermassen wieder zu mir kam – als ich die Notizen durchlas, die Audioaufnahmen anhörte, die Fotos betrachtete, das Erfahrene dadurch in meiner Realität verankern konnte –, hatte ich den Eindruck, dass sich aus dieser Vielfalt an Stimmen ein Verständnis für die Komplexität unserer Gegenwart formen lässt.
Dieses Zuhören, das Verlorengehen im Zuhören, machte mir auch bewusst, wie elementar die Erfahrung des Erzählens ist. Wie notwendig, um unserer Wahrnehmung der Welt mehr Tiefe zu geben, mehr Facetten, und ihr dadurch zu mehr Menschlichkeit zu verhelfen.
Und ich glaube, dass die Möglichkeit, vom eigenen Schicksal zu sprechen, dabei hilft, den Verstand zu bewahren, weil Flucht nicht nur das Erreichen eines sicheren Ortes bedeuten kann, sondern auch die Rettung in den weiten, offenen Raum, den eine geteilte Geschichte erschafft.